Raffgier zerstört Paradies: Umweltskandal in Gambia9 min read
Zurück aus Afrika, back from Gambia, dem Winzling an der Westküste des afrikanischen Kontinents. Was als frohgemute Reise zu den gut laufenden Projekten des Bitterfelder-Leipziger Vereines „Hand in Hand“ mit ein paar anschließenden entspannten Strandtagen gedacht war, wandelte sich im Laufe der Tage als schockierendes und tief zu Herzen gehendes Ärgernis. Haufenweise tote Fische am Strand, bestialischer Gestank und tonnenweise Plastikmüll an den ehemals paradiesischen Stränden – so wurde aus dem lockeren Urlaubstrip ein zum inneren Wandel führendes traumatisches Ereignis.
Ganz ehrlich: Ich bin kein Umweltaktivist. Meine Umgebung auch nicht. Sagen wir, wir sind im Wandel begriffen. Bessere Lebensmittel für mehr Geld, dafür weniger. Verzicht auf Plastik, so gut es eben geht. Mülltrennen, aber nicht fanatisch. Da ist überall noch Luft nach oben. Und unsere CO2-Bilanz ist auch verheerend, zumindest im letzten Jahr. Zu viele Flüge. Für die radikalen Klimaschützer gibt es Verständnis, aber selber in den Wald ziehen? Nee. Vermutlich liege ich damit im Mittelfeld der Tabelle des deutschen Klimabewusstseins.
Nun wieder Afrika. Wir unterstützen als Familie einen kleinen Verein, der sich vor Ort engagiert. Meine Frau Kerstin als stellvertretende Vorsitzende, wir beide mit Interesse und als finanzielle Förderer. „Hand in Hand“ entwirft und fördert Projekte wie Frauengärten, Wasserlöcher und Brunnen sowie Schulen. „Hilfe zur Selbsthilfe“ heißt das Zauberwort, beeindruckende Erfolge konnten verbucht werden. Es gibt sie, die blühenden Gärten, die den dort schuftenden Frauen und ihren Familien etwas mehr Wohlstand und vor allem Perspektive bieten. Bleibe-Perspektive würde man aus deutscher Sicht wohl formulieren.
Nach unserer Ankunft und dem Bezug der niedlichen und einfachen Rundhäuser in der „Rainbow Lodge“ ein paar ruhige Tage. Frühstück unter Palmen am Strand, lange Strandspaziergänge bei bis zu 38 Grad, frischen Fisch auf dem Teller – klingt paradiesisch. Doch am dritten oder vierten Tag der Schock. Auf dem Weg zum Frühstück – was ist das für ein Gestank? Was machen all die Leute da am Strand? Die Antwort ist schnell gefunden: Tonnenweise tote Fische sind angespült worden und werden – zumindest in Höhe der wenigen Lodges mit Touris – eilig entsorgt. Den Gestank bekommt niemand weg, der weht aus der nur wenige hundert Meter entfernten chinesischen Fischmehlfabrik weiterhin herüber. So hält man das nicht aus, wir flüchten entsetzt.
Hier tut sich das grundlegende Problem auf. Dem Land geht es schon nicht gut, ökonomisch steht man immer mit einem Bein am Abgrund. Die jungen Menschen ringen um Perspektiven, Jobs als „Juice-Boys“ oder „Bumpsters“ gelten schon als lukrativ. Wobei die einen darauf lauern, den Touristen auf ihren Strandliegen ein exotisches Fruchtgetränk zu verkaufen, und die anderen es darauf anlegen, einsamen älteren weißen Frauen den Lebensabend zu versüßen. Taxifahrer sind beinahe schon Privilegierte, Experten vom Bau ebenso rar wie in Deutschland, wenngleich die Standards allenfalls „afrikanisch“ zu nennen sind. In dieser Gemengelage, zu der sich politische Unzufriedenheit gesellt, ist es nicht leicht, Perspektiven zu finden.
Mit dem seit drei Jahren an der Macht befindlichen, erstmals demokratisch gewählten Präsidenten Barrow, hadern viele, die sich schnellere Entwicklung versprochen hatten. Es gibt keine willkürlichen Landenteignungen mehr, die schlimmsten Repressionen sind vorüber – dafür ist Korruption nach wie vor ein großes Thema. Und manche befürchten gar, Diktator Jammeh könnte zurückkommen. Es herrscht also Unsicherheit im Lande, was man nach fast 350 Jahren Kolonialisierung und Fremdbestimmung, Sklaverei und Diktatur wohl nachvollziehen kann.
Vor Jahren kam dann China ins Spiel. Die Vergabe von Krediten, das verstärkte Engagement auf dem afrikanischen Kontinent war interessengesteuert – wie von allen Akteuren im Spiel. Entlang der Küsten entstanden Fischfabriken. Produziert wurden entweder Fisch, der ins chinesische Mutterland exportiert wurde, oder Fischmehl, das zum Füttern chinesischer Rinder, Kühe und Schweine genutzt wird. Beides führt zu einer hemmungslosen Überfischung der afrikanischen Küstengewässer, was Chinesen und übrigens auch die Europäer bereits hinter sich haben.
Bis zu 40 Prozent ihrer Fänge realisieren Europas Fischfangflotten bereits in außereuropäischen Gewässern. Lange Zeit sah man das in der EU nicht als Problem. Die neue EU-Fischereikommissarin Marina Damanaki schlägt andere Töne an. „Wir sind nach Afrika gegangen, haben deren Fisch genommen, und jetzt gibt es dort für die Einheimischen keinen Fisch mehr“, sagte sie dem ZDF. „Nun müssen wir den dort angerichteten Schaden heilen, die Lage verbessern.“
Das Hauptproblem, so sagt Damanaki ebenso wie ihre Vorgänger, seien aber die „illegalen und unkontrollierten Fänge“. Sie machen Schiffe, die meist unter der Flagge von ärmeren und kleineren Staaten wie etwa Belize oder Honduras fahren, aber Firmen aus anderen Ländern wie zum Beispiel China, Russland oder Spanien gehören. Sie wildern gezielt in fangträchtigen Küstenzonen wie etwa vor Westafrika. (Quelle: Geo).
Im gambianischen Sanyang haben seit einiger Zeit senegalesische Fischer das Sagen. Sie sind zu hunderten hierher gekommen, nachdem Rebellen eine Fischfabrik im nahen Senegal abgefackelt haben. Sie fischen kaum für den Eigenbedarf und den lokalen Markt, sondern verkaufen ihren Fang zu einem beachtlichen Teil an die Verarbeitungsfabriken. Die einheimischen, gambianischen Fischer hingegen haben Mühe, ihre Fänge an den Kunden zu bekommen – es herrscht ein Überangebot. Den Schutz der Regierung vermissen sie schmerzlich: „Es ist denen egal, die schauen doch auch nur, dass sie sich die Taschen füllen“, sagt Muhamad, der am Strand lebt und alle Fischer kennt.
Zudem kreuzen russische, chinesische, japanische und EU-Trawler vor der Küste. Nur müssen sie den Fang nun an Land bringen. Im 250 Kilometer von Sanyang entfernten Kayar (Senegal), dessen 20.000 Einwohner zum überwiegenden Teil vom Fischfang leben, gibt es jetzt zwei koreanische, eine chinesische und eine libanesische Fabrik, die den Fisch verarbeiten – oft zu Fischmehl, das dann Futter für europäische Hühner wird. Ein großer Teil des Fangs aber wird angelandet, tiefgefroren und in Containerschiffen gleich wieder abtransportiert. Aber auch in Gambia gibt es drei weitere Fabriken der Chinesen, die in Banjul sogar mit 15 eigenen Trawlern in See stechen und täglich 100 Tonnen Fisch pro Schiff aus dem Meer holen.
Erste Proteste der Einwohner gab es bereits 2018, ein Jahr darauf wurden vier Jugendliche verhaftet und gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Vorwürfe: Gestank, Ableitung giftiger Abwässer ins Meer und die illegale Abfischung mit zu engmaschigen Netzen durch fremde Fischer. Es geschah: nichts. Immer und immer wieder beschweren sich auch Touristen, doch die Verschmutzung geht weiter. Nun hat sich „The Chronicle Gambia“ mit einem Artikel über die Situation zu Wort gemeldet. Nachstehend findet ihr den Text in deutsch. Der Original-Artikel steht hier. Bleibt zu hoffen, dass die öffentliche Aufmerksamkeit Veränderungen anschieben kann. In den Tagen nach dem Artikel tat sich bereits einiges. Am 14.3.2020 gab es einen Pressetermin vor Ort, Presse- und TV-Leute waren da. Mal sehen, ob die junge Demokratie Gambias auf diesem Gebiet ihre Bewährungsprobe besteht. Es wäre im Sinne der eigenen Bürger.
PS: Da haben wir über Plastikmüll, der an den Ufern der afrikanischen Küsten täglich in erheblichen Mengen angeschwemmt wird, noch kein Sterbenswörtchen verloren. Teilweise stammt der Müll natürlich aus Afrika selbst, wo man keine Müllabfuhr kennt (zumindest in Gambia), doch der große Rest dürfte aus unseren wohlhabenden Ländern stammen.
Artikel aus „The Chronicle“
Barbesitzer fordern Schließung der Fischmehlfabrik in Sanyang
Von Kebba Ansu Manneh
- März 2020 868
Nassim Fishmeal Fabrik
Mehrere Barbesitzer in der Küstensiedlung Sanyang haben die sofortige Schließung der Nassim Fishmeal-Fabrik gefordert, die sich am Strand befindet, da der Geruch, der von der Fabrik emittiert wird, eine Gefahr für die Gesundheit darstellt und somit schwerwiegende Auswirkungen auf ihr Geschäft sowie die umliegenden Anwohner hat.
Sanyang liegt in Kombo Süd und sein „Paradiese Beach“, wie das Gebiet genannt wird, liegt innerhalb des touristischen Entwicklungsgebiets und zieht jährlich eine große Anzahl von Touristen an. Doch mit der ständigen Verschmutzung durch die Fischmehlfabriken in der Umgebung, einschließlich Tanji und Gunjur, fürchten Strandnutzer, dass das Tourismusgeschäft zusammenbrechen könnte.
„Wir haben mit einem sehr schlechten Geruch aus der Nassim Fishmeal Factory während der letzten drei Saisons zu kämpfen, aber in letzter Zeit hat es ein Niveau, dass es unsere Gäste zu erschrecken beginnt, so dass wir Buchungen während dieser Zeit des Jahres zu verlieren drohen“, sagte Lamin Jawla, Manager Rainbow Beach Bar.
Er sagte The Chronicle, dass die Situation sehr unglücklich ist, weil sie Kunden aufgrund der unerträglichen Emission und des schlechten Geruchs verlieren.
„Wir haben diese Angelegenheit den zuständigen Behörden gemeldet, aber es wird nichts dagegen unternommen. Wir möchten jedoch an die Tourismusbehörden und die Regierung von Präsident Adama Barrow appellieren, in unserem Namen zu intervenieren, um diese schreckliche Situation zu beheben, die wir derzeit erleiden.“
Jawla gab bekannt, dass sich bereits 34 Gäste von seiner Rainbow Beach Bar abgemeldet hätten und nun in die südsenegalesischen Resorts Abenneh und Kafunting gezogen sind.
Irene Naert, eine Französin, und ihr Mann Muhammed Lamin Manneh, sind die Besitzer der River By The Sea Beach Bar. Sie äußerten auch Bedenken hinsichtlich des Geruchs, der von der Fischmehlfabrik ausgeht, und fügten hinzu, dass Abfälle, die aus der Fabrik in den Ozean eingeleitet werden, es Touristen auch unmöglich machen, hauptsächlich aufgrund der Verschmutzung der Meeresgewässer zu schwimmen.
„Wir sind definitiv besorgt über das Ausmaß der Verschmutzung, die hier (Sanyang Beach) stattfindet, weil dies der Ort ist, an dem wir investieren, um Chancen für die Jugendlichen und Schutzbedürftigen zu schaffen und auch ihren Lebensunterhalt zu verdienen“, sagte sie.
Naert und ihr gambischer Ehemann überlegen nun, ob sie mit ihrem Bebauungsplan weitermachen sollen oder nicht, weil auf lange Sicht kein Betreiber in der Lage sein wird, Touristen an diesen Strand zu bringen, wenn die Situation nicht angegangen wird.
Ousainou Badjie, ein Touristen-Taxifahrer, sagte The Chronicle, dass über 500 Jugendliche aus Sanyang direkt ihren Lebensunterhalt mit der Tourismusindustrie verdienen, und fügte hinzu, dass der Zusammenbruch des Tourismus in Sanyang eine Menge Existenzgrundlage in Gefahr bringen wird.
„Wir [die Sanyang-Jugend] wurden beschuldigt, Diebe, Kriminelle und alle anderen Namen zu sein, als wir im ‚Strasser‘ [Ghetto] saßen. Wir verließen den Strasser und beschlossen, an den Strand zu kommen und unseren Lebensunterhalt zu verdienen, sie (Behörden) wollen uns auch das nehmen; es wird nie möglich sein.“
„Was ich der Regierung sagen möchte, ist, dass es besser ist, Nassim zu schließen, denn wenn alle Jugendlichen, die vom Tourismus leben, gebeten werden, nach Hause zu gehen, was werden die nächsten Konsequenzen sein?“, fragte er.
Seit 2017, als die derzeitige Regierung die Regierung übernahm, gab es eine Menge Geplänkel zwischen Unternehmen und Bewohnern der Küstengemeinden. Einige der Konflikte wie das chinesische Unternehmen Golden Lead landeten vor Gericht mit Leuten von Gunjur, bevor die Angelegenheit zurückgezogen wurde. Die Polizei verhaftete und beschuldigte die Demonstranten, einige Golden Lead Rohre beschädigt zu haben.
Experten und die Nationale Umweltbehörde haben alle Bedenken hinsichtlich des Verhaltens dieser Fabriken geäußert, aber die Behörden sind anscheinend nicht interessiert.