Arni6 min read
Wenn man eine Sache schon beinahe aufgegeben hat, traut man ihr nicht mehr viel zu. Doch gerade dabei kann man sich gewaltig täuschen. So ging mir das, als Arni zu Grabe getragen wurde.
Auf dem Connewitzer Friedhof und später, beim Umtrunk im Killywilly, dem legendären Pub im Szeneviertel an der Karl-Liebknecht-Straße, wo Arni zu Lebzeiten oft verkehrte und den nicht weniger legendären „Scheidebecher“ zelebrierte, da fühlte ich mich wieder so gut wie schon lange nicht mehr. Natürlich, und da gebe ich jedem recht, der das sagt, war es nicht der rechte Anlass, sich wohl zu fühlen. Arni wäre sicher in seiner recht barschen Art mit mir ins Gericht gegangen. Aber nicht wegen des unpassenden Anlasses, sondern wegen meiner Zweifel überhaupt. Meiner Zweifel an Chemie. Aber ich kann das erklären. Und ich habe einen guten Grund, nein, sogar mehrere, sogar recht viele triftige Gründe für mein Aufgeben.
Dabei hatte ich nie geahnt, dass so ein Fußballverein ein fressendes, grabschendes und ekliges Monster sein kann, das einen verleumdet, die Kraft aussaugt und dir das Gehirn vernebelt, wenn du nicht gewaltig aufpasst. So ist es mir ergangen. Ein paar mal habe ich ernsthaft versucht, dem Traum meiner Jugendzeit, meinem Lieblings-Fußballverein, ein guter Partner zu sein. Im Vorstand des Fördervereins und als Aufsichtsrat funktionierte es nur solange, bis ein Großmannsüchtiger Krimineller aus Berlin den gesamten Verein mit seiner Kohle erpresste und wir samt und sonders zurücktraten. Den Trainer, um dessen Entlassung es dabei ging, kennen wir heute aus einem Kleinstadtverein an der Schwelle zur 1. Bundesliga.
Im Präsidium überstand ich drei Jahre Mobbing durch Präsident und Manager als „Ungehorsamer“, bis ich meinen Namen riesig in der Zeitung mit den großen Lettern fand, mein Verein pleite war und zwangsabgestiegen war. Nie wieder ein Amt, schwor ich mir damals, sorgte aber drei Jahre später an entscheidender Stelle mit für den Sturz des amtierenden Präsidenten, der aus einer Null nach der Insolvenz einen großen sechsstelligen Fehlbetrag gezaubert hatte und durch diverse Kapriolen meinen Verein der allgemeinen Lächerlichkeit preisgegeben hatte. Wer A sagt, muss auch B buchstabieren, also versuchte ich ehrenamtlich nach meinem eigentlichen Job im Marketing des Vereines zu helfen. Wir rannten buchstäblich mit dem Stahlhelm durch die Gegend, wie mein Freund Matthias, ein ehemaliger Spielerheld, es formulierte, um Schulden gestundet und neues Geld geschenkt zu bekommen. Wahrlich keine angenehme Tätigkeit, wenn man mit dem eigenen Geschäft recht erfolgreich ist und solche Bettelgänge nicht aus eigenem Erleben kennt. Auch das war eines Tages vorüber, beides war nicht zu schaffen, der Verein schaffte es endlich, mal nicht nur in Beine, sondern auch in Köpfe zu investieren und eine Struktur aufzubauen. Naja, und ich war ab sofort wieder nur noch einfacher Fan, der sich am Spiel seiner Mannschaft erfreuen wollte.
Und genau das ging gründlich in die Hose. Wieder mal. Wenn man 18 Jahre lang – so lange ist die Wende mit ihrer nachhaltigen Umstrukturierung auch im Fußball her – fast nur aufn Kopp kriegt, nervt das nicht nur. Man regiert zunehmend zurückhaltend, frisst sich (sinnbildlich) eine Elefantenhaut auf dem Gemüt an, wird gar zynisch. Jedes Jahr aufs neue lässt man sich einlullen von den ewigen Aufstiegsparolen, sieht man sich selbst doch nur all zu gern dort, wo man nach eigener Einschätzung schon immer hingehört hat. Bei intensiverem Nachdenken komme ich heute zu dem Schluß, dass hier eindeutig eine Massenpsychose vorliegen muss, die zu einer völlig falschen Einschätzung führt. Chemie gehört überhaupt nicht zu denen dort „ganz oben“ in die Sphären der Regionalliga oder gar 2. Liga. Gehörte Chemie noch nie! Jedenfalls in der Zeit, in der die meisten Chemie-Gänger von heute zum Fußball gehen. Von den verstaubten Erfolgen der Altvorderen mal abgesehen, dümpelt die Chemie doch seit fast 40 Jahren immer am Rande des Erträglichen. Mal hier eine Aufstiegsrunde, mal dort ein Pokalerfolg, und aller paar Jahre sogar mal ein Aufstieg – verwöhnter sind wir doch gar nicht. Also entbehrt der Traum vom Duell mit den etablierten Bundesligateams nicht einer gewissen Traumtänzerei.
Jedenfalls gings gründlich in die Hose. Wieder mal viel Geld, viele angeblich große Namen, viele Vorschußlorbeeren. Hielt mich alles nicht davon ab, im Gegenteil, animierte mich sogar, die Matches zu sehen. In Halberstadt, in Chemnitz, in Plauen, in Cottbus, in Auerbach. Fünf Punkte brachte ich mit nach Hause. Ging innerlich zugrunde, als wir im riesigen Zentralstadion massig Punkte verschenkten gegen Halle, Auerbach, Zwickau und die anderen „Außenseiter“. Und letztens, nach dem Pokal-Aus bei der Jugend von Wismut Aue, da beschloss ich, Ernst zu machen mit meinen ewigen Schwüren, mich niemals wieder bei einem Spiel dieser Versager sehen zu lassen. So richtig doll, mit Negierung des Videotextes, Vergessen der Spieltermine und völliger Nichtbeachtung der aktuellen Tabelle. Über die Artikel in der LVZ lachte ich fortan, als hilflose Durchhalteparolen gedruckt und offene Briefe der „Mannschaft“ veröffentlicht wurden. Es gab sogar noch saures von mir: Die sind ja nicht mal in der Lage, den Wisch, den irgendeiner in ihrem Namen gekleckst hatte, zu unterschreiben! Zwei unleserliche Namen zierten das unsägliche Pamphlet – das war alles, was diese Farbenschänder fertig bekamen! Irgendwie traurig…
Und dann war da diese Beerdigung. Arni war ein Ur-Viech. Grob. Mürrisch. Direkt. Zuverlässig. Schlau. Treu. Er ließ diesen Zynismus-Scheiß irgendwie nicht an sich ran. Stand aufrecht wie die Fahne im Sturm, auch wenn es schon lange nur noch ein laues Lüftchen gab. Oft wurde der Frust in massig Weinschorlen ertränkt, es gab viele „Scheidebecher“. Arnie war nicht nur einer von uns, er war Vorbild für viele, so merkwürdig das an dieser Stelle klingen mag.
Der Friedhof Connewitz war schwarz. Nicht, weil die Autonomen eine Barrikade errichtet hätten, sondern weil die Trauergäste die Meusdorfer Straße versperrten. So viele waren es. Es ging zu wie einem geilen Auswärtsspiel. Eben wie vor vielen Jahren. Und wer alles da war! Die Glatzköpfe um Piethahn und Bebe, der jetzt in Essen lebt und in den frühen 80ern mal bei einem Auswärtsspiel von Chemnitzern (damals noch: Gorl-Morgs-Stohd) entführt wurde. Sieler und Voitsch, auch Leutzscher der ersten Stunde, denen keine Kneipe und kein Polizeirevier zwischen Stralsund und Suhl unbekannt war. Einige „Grüne Engel“, also Angehörige des ersten Fanclubs von Mitte der Siebziger – dicke Bäuche, vollbärtig und allesamt straff antikommunistisch. Die Fanclubs „Nova“ und „Leutzsch Legion“, die geschlossen ans Grab traten. Und sogar einige Lokisten der alten Garde wie Schalke-Micha, mit denen Arni im Leipziger Süden großgeworden war, erwiesen ihm die letzte Ehre.
Es war ein starker Anblick, über 250 der Treuesten der Treuen vereint zu sehen. Auch, wenn es ein trauriger Anlass war, machte es doch Mut. Die Idee ist nicht kaputt zu machen, so sehr es auch manchmal so scheint. Diese traurige Stunde hat mir mehr Mut gemacht, als es ein Aufstieg schaffen könnte. Du bist nicht allein, sollte das wohl heißen, und vielleicht war es ein Signal. Es hat mein Herz gestärkt, denn eines hat mir diese Stunde und auch der Umtrunk später am „Killywilly“ gezeigt: Wenn man eine Sache schon beinahe aufgegeben hat, traut man ihr nicht mehr viel zu. Doch gerade dabei kann man sich gewaltig täuschen. So ging mir das, als Arni zu Grabe getragen wurde.
tommes
dazu kann ich nur sagen, wenn ihr auf dem rückweg seit, dann sollten wir vielleicht ein Spiel der championsleguae sehen, cluj würde sich sehr anbieten. grüsse an euch beide, habe ich im letzten blog vergessen tommes
admin
Können wir machen, ich melde mich einfach rechtzeitig, wenn wir anrollen... LG zurück!