Buscher6 min read
Ich weiß es bis heute nicht genau, ob das „H” in Günters Namen auch wirklich dort hingehört. Auf dem Grabstein auf dem versteckten kleinen Friedhof in Großpösna steht es zweifellos richtig, doch ich habe es bei meinem Besuch dort nicht registriert, ob es „Günther” oder doch „Günter” heißt. Jahrelang habe ich das „h” weggelassen, wenn ich über meinen Freund schrieb, der eine der großen Fußball-Legenden unserer Stadt war. Günter Busch. Und er hat es mir gegenüber nie reklamiert.
Günter Busch in den 50ern bei Chemie im Tor.
Dabei pflegte er normalerweise kein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn wir uns mal wieder trafen und er an mir etwas auszusetzen hatte. Und das hatte er meist! Freundschaftlich-herausfordernd-anklagend stellte er mich oft zur Rede: “Sag mal, was hast Du Dir denn da wieder erlaubt? Das müssen wir aber erst mal auswerten!” Dazu später.
So blieb also das “H” unsichtbar, verborgen, versteckt – es fand schlicht nicht statt. In Berichten über die Neueröffnung des Zentralstadions, in dessen Vorgänger, dem “Stadion der 100 000″, das größte Spiel aller Zeiten in Leipzig mit „Buscher” im Tor stattgefunden hatte. 100 00 Zuschauer waren 1956 zu einem Punktspiel der DDR-Oberliga gekommen, Günter stand im Tor und gewann mit seiner Mannschaft 2:1. Seine Mannschaft, das war damals der SC Lok Leipzig, die nichts, aber auch gar nichts mit dem heutigen 1. FC Lok zu tun hatte. Sie war der Nachfolger der BSG Chemie Leipzig, die 1954 als Vizemeister der DDR von der konfusen und anmaßenden DDR-Sportpolitik aufgelöst wurde. Nun, fast 50 Jahre später, wurde das neue Zentralstadion, ein Neubau mit 44 000 Plätzen statt der 100 000, eingeweiht. Und Günter Busch schlenderte – inzwischen am Stock – mit seinen Kameraden von einst über den nagelneuen Rollrasen. Mit Rainer Baumann und Siegfried Fettke erinnerte er sich an die historische Stunde, den Elfer, den der Fettke-Siggi ihm reinhaute und den knappen Sieg.
Glückwünsche zum 75. im Zentralstadion.
Das „h” blieb aber auch weg, als sich „Buscher” als eines der dienstältesten Mitglieder des Vereines im Mitgliedermagazin zur Lage der Nation äußerte. Bei anderen Meinungsäußerungen ebenso. Immer blieb das „h” weg. Und stets unwidersprochen.
„Buscher” nahm auch ansonsten kein Blatt vor den Mund. Bei den regelmäßigen Treffs unseres Arbeitskreises „Traditionspflege”, der seit der Ära Bauer und Kupfer (Präsident und Geschäftsführer beim FC Sachsen im Jahr 1996) bestand, pflegte Günter noch vor der Begrüßung zu attackieren, wiegte wissend den Kopf und meinte: „Jetzt biste erst mal dran. Wir haben einiges zu klären!” Manchmal kam ich auch zu spät, weil ich mich nicht pünktlich vom Büro wegbewegen konnte. Das war immer ein willkommener Anlass, meine Unpünktlichkeit zu rügen. Diese Frozzeleien gehörten eigentlich immer dazu, wir kamen ohne sie nicht aus. Ein Charakterzug von Günter, der typisch für ihn war und mit dem man – gerne – leben musste. Doch wer damit umgehen konnte, hatte auch seinen Spaß dabei – wenn man den Spieß gelegentlich auch mal umdrehen konnte. So vergingen immer erst ein paar Minuten, in denen hin- und her”geschossen” wurde, bis alles „geklärt” war und „Buscher” mit einem gütigen Lächeln das Scharmützel beendete. Nun wurden andere Probleme gewälzt, die ihm im Kopf herumgeisterten und ihn beschäftigten. Natürlich hatte es meist mit Fußball zu tun, aber bei weitem nicht immer. Vor allem leichtfertige und oberflächliche Verhaltensweisen, die sich in der modernen Gesellschaft festgesetzt haben, ärgerten ihn und forderten seinen Widerspruch heraus. Vokabeln wie „Unvorstellbar”, „Unzumutbar” oder „Nicht zu fassen” sowie ein leichtes Kopfschütteln begleiteten diese Diskussionen.
Unwiderstehlich: Buscher mit Walter Stieglitz als Flankendeckung.
Immer, aber auch wirklich immer, fragte er mich, der ja doch oft sehr nah dran war, über die Vorgänge im Verein aus. Ich hatte immer den Eindruck, er vertraute meiner Meinung, und ich konnte ihn entweder beruhigen, indem ich Personen näher beschrieb oder charakterisierte und ihm damit ein neues Bild vermittelte, oder musste ihn in seinem Urteil bestätigen, was meist drohendes Ungemach für den geliebten Verein bedeutete.
Kongeniales Duo: Röhre Baumann und Günter Busch.
Unsere eigentliche Tätigkeit der Traditionspflege erstreckte sich auf die Feststellung von runden Geburtstagen verdienter Spieler und Funktionäre. Uwe Mielatz, seit Jahren Schiedsrichterbetreuer des Vereins und Drucker in Stahmeln, Wolfgang Dietrich, seit 15 Jahren privater Förderer des FCS im „Club der 100″ und über 80 Jahre alt, meine Person und eben Günter Busch gehörten dazu. Weitgehend unbeachtet vom großen Verein gingen wir unabhängig von Präsidien und Zustandsform des Vereines unserer Tätigkeit nach, als „gutes Gewissen” der Leutzscher Tradition sozusagen, das unabhängig von Namen und Ligen agiert. Günter war dabei der Wissensträger, die letzte Instanz sozusagen. Sein Urteil über Spieler und deren Verdienste hatte das größte Gewicht, und wenn er sagte, der und der “sang auch nur einen Sommer, da brauchen wir nichts zu machen”, dann war das so gesetzt und beschlossen. Andererseits setzte er sich aber auch für Spieler ein, die wir Jüngeren natürlich nicht so gut einschätzen konnten und deren Verdienst durch Günters Erinnerung wachgehalten wurde. Wir erhielten im Laufe der Jahre einige Rückmeldungen und erfreute Dankesbriefe ob der Würdigung, aber auch einiges an Stillschweigen und Zurückhaltung.
SO wurde also über die Jahre eine Freundschaft aus unserer Bekanntschaft. Ich glaube, Sympathie war es von Beginn an. Schon unser erstes Treffen! Ich, damals in meiner ersten Zeitungsstation als junger Sportreporter des Leipziger Tageblattes, hatte ihn angerufen und um ein Treffen gebeten. Ich schien ihm nicht unbekannt zu sein, fragte er doch nicht nach, was ich mache oder genau wolle. Als ich an seinem Klingelschild das Schild “Günter Busch, Torwart a.D.” las, in seinem geliebten Gohlis, holte er mich unten an der Haustür ab. Er öffnete die Tür, streckte mir die Hand hin und stellte fest: “Jens Fuge!” Es geschah in einem Unterton, der, wie mir schien, Sympathie und Neugier, ungestellte Fragen und die Erwartung auf ein interessantes Gespräch beinhaltete. Wenn es denn wirklich mitschwang, bewahrheitete es sich. Fortan trafen wir uns unregelmäßig, aber nicht selten. Ich durfte Karten spielen mit dem kongenialen Duo Busch und Baumann und ihrem Freund Seifert, lernte die anderen “Alten” der 50er Chemie-Mannschaft kennen durch die Vermittlung Günters. Er half mir mit Fotos und Episoden für meine Fußballbücher, erweiterte meinen Horizont durch etliche Diskussionen, vergnügte mich mit manch überraschender Ansicht und Schlußfolgerung. Und wir teilten die tiefe Liebe zu unserem Verein, er, der berühmte und sympathische Torwart aus längst vergessenen Tagen, und ich, der Junge aus Lindenau, der Schreiber und Chronist, der ich inzwischen geworden war.
Inzwischen vermisse ich die Treffen mit ihm. Ich muss, denn Günter ist nicht mehr auf unserer Welt. Von Krankheit gequält, vom Tod erlöst. Das mit dem “H” im Namen werde ich herausfinden, wenn ich wieder einmal seinen Grabstein in Großpösna besuche. Aber egal, was dort steht, ich werde ihn weiter so schreiben, wie ich es immer tat. Und wie er es niemals reklamierte. Günter Busch.
Christa
Hallo, mein Lieber, erst mal muss ich feststellen, dass ihr wohl nun doch eine ruhigere Kugel schiebt, sonst hättest du wohl kaum die Muse gehabt, zwei so lange Geschichten zu schreiben. Geschichten ist sicher das falsche Wort, aber mir fällt gerade kein treffenderes ein. Aber sehr emotional hast du geschrieben, und ich geb es zu, bei Buscher habe ich mir gerade 2 Tränchen weggewischt. Weiß ich doch, dass euch etwas ganz Besonderes verbunden hat. Auch kannte ich ihn ja und sehe ihn noch zu deinem 40. Geburtstag mit seiner Freundin (?) am Tisch sitzen und immer so verschmitzt und vielsagend lächeln. Später hat er sich dann über die laute Musik mokiert, was mich amüsierte, weil diese mich gar nicht störte. na ja, er war eben noch ein paar Jahre älter als ich und mich hat an d i e s e m Tag , zu dieser Stunde, sowieso nix aufregen oder ärgern können... Solche Geschichten könntest du doch in einem Buch zusammen fassen. Mir würde das gefallen zu lesen. Schreib weiter so! Bis bald.Muddi.
admin
Danke für die Blumen, liebe Mutti. Schön, dass es dir gefällt. Das meiste hatte ich schon vor längerem geschrieben, zu Hause, vor einem Jahr ungefähr. Es brauchte nur eine Vollendung. Du weißt ja, dass ich ihn und seinen Humor und seine Art sehr gemocht habe. In der Tat haben wir jetzt wesentlich mehr Muße, es vergeht ein Tag wie der andere, wir sind im Prinzip nur im und am Wasser, lesen, reden, essen (aber gaaanz wenig, nehmen aber nicht ab... :-( ). Heute wollen wir mal Kinoabend machen, vom Tommes haben wir in Herrmannstadt paar Filme bekommen auf den Laptop, davon gehen drei nicht, aber die anderen dafür. Da schauen wir heute mal. Vielleicht treffen wir auch unsere zwei Griechen wieder, den Pandi (68) und den Kosta (64, sieht aus wie Alexis Sorbas). Wir hatten nach unserem Festmahl, zu dem wir eingeladen waren, jeden Tag Kontakt, weil wir immer an der Stelle stehen früh und abends, wo sie angeln und wo wir 20 m daneben stecken geblieben waren. Dann trinken wir ein Bier, schmauchen eine zusammen und quatschen. Pandi war 15 Jahre in Nürnberg in diversen Fabriken, übersetzt dann immer. Herrlich, das kannst du dir nicht vorstellen! So richtige gute Bekannte sind wir schon, wenn wir hier wohnen würden oder öfter kämen, würden wir zweifellos zu Freunden. Würde Dir auch gefallen - sind aber alle vergeben... :-) So, danke für die Meldung, schön, von Dir zu hören immer wieder. Du weisst schon, dass fünf Wochen rum sind? Uns ist es aber fast nicht so. Jetzt freuen wir uns auf Ronny, der am 23.9. in Saloniki ankommt. Das wird auch schön. Für heute viele liebe Grüße vom 30-Grad-und-gelbem-Sand-Strand in Tuzla (nicht Ofiris, wie irrtümlich geschrieben) von Kerstin und Jens