Fazit: Rumänien mit eigenen Augen gesehen5 min read
Nach drei Wochen in Rumänien ist ein kleines Fazit fällig. Wenn man noch nie in einem Land war, lebt man ja von den Brocken, die man im Fernsehen gesehen, gelesen oder von anderen gehört hat. Es formt sich so ein Bild, das mit der Wirklichkeit meist herzlich wenig zu tun hat. Besonders im Fall Rumänien. Man kann es ja zugeben – was man über dieses Land „weiß“, ist gar nichts gutes. Arm, verlottert, kriminell – in Kurzform. Wenn man sich dann entschlossen hat, sich ein eigenes Bild zu machen, beschäftigt man sich schon tiefergehend mit den Dingen. Der Nebel lichtet sich ein wenig. Arm? Ja, aber dank EU und freiem Unternehmertum entwickelt sich langsam was. Verlottert? Das ist ein weiter Begriff. Sicher gibt es Schmutz und Umweltsünden, aber auch herrliche Natur. Und kriminell? In einer Statistik hieß es, dass dem Reisenden in Brüssel eher etwas passieren könne als in Bukarest. Naja. Nun also waren wir da, in Rumänien, dem so viele Vorurteile entgegen gebracht werden.
Natürlich ist das Land arm. Wenn man es an unseren Maßstäben mißt. Durch die landwirtschaftliche Prägung wird der Eindruck verstärkt, wenn man die vielen Pferdefuhrwerke sieht, die auf den Straßen herumzuckeln. Oder Leuten begegnet, die ihr Rind oder ihre Kuh nach Hause treiben. Das Land war schon immer landwirtschaftlich geprägt, der größenwahnsinnige Versuch des kommunistischen Irren Ceaucescu, das Land zu industrialisieren, endete in der totalen Verschuldung, im ökologischen Gau und der Lebensmittelrationierung zu Beginn der 80er. Doch seit jeher spielt Selbstversorgung eine große Rolle, die Menschen bauen Kartoffeln, Tomaten und Paprika an. Was übrig bleibt, wird am Straßenrand zum Verkauf angeboten. So wird das karge Einkommen aufzubessern versucht. Der Durchschnittsverdienst der Menschen liegt bei 200 Euro, das ist beileibe wenig. Doch man sieht auch die neuen Reichen, die Erfolgreichen, die Wendeprofiteure. Man begegnet Nobelkarossen der Marken Porsche, Mercedes und Audi, sieht neue Fabrikhallen, riesige Einkaufscenter. Und die sind voll. Es scheint sich also langsam eine Mittelschicht zu bilden. Auch schöne gepflegte und neue Häuser sieht man nicht zu wenig. Bettler sind die Ausnahme. Also arm? Im Vergleich sicher ja, aber gefühlt geht es bergauf in Rumänien. Niemand hungert oder muss auf der Straße schlafen – Ausnahmen inbegriffen, doch die gibt es ja auch im „reichen“ Westeuropa.
Verlottert sieht es schon aus, wenn man über Land fährt. Verfallene Fabrikgelände, kaputte Straßen, wenig attraktive Städte. Doch es tut sich vieles. Auch wenn es eine Katastrophe ist, wenn man alle 5 Kilometer an einer Ampel halten muss und einen Brückenneubau oder einen instandzusetzenden Straßenabschnitt passiert. Nach System sieht das zuweilen nicht aus, böse Zungen behaupten sogar, man tue so, als ob viel passiert, um die fließenden EU-Gelder zu rechtfertigen… Dann gibt es wieder hunderte Kilometer feinster Straßen, die den Vergleich mit Bayern oder Baden-Württemberg nicht scheuen müssen. Die Bausünden der sozialistischen Zeiten werden dagegen nicht so schnell verschwinden. Es gibt in Rumänien halt keine reichen Brüder und Schwestern, die viel Geld umleiten oder mittels Steuererleichterungen günstig Eigentum erwerben und investieren können. Das wird noch viele Jahre so bleiben, zumal man südlich von Deutschland eben auch ein anderes Ästhetikempfinden hat. Aber auch hier gibt es ein anderes Bild. In den Innenstädten von Timisoara, Brasov oder Sibiu (zugegebenermaßen ein Sonderfall durch den Titel Kulturhauptstadt Europas 2007) kann man einen Unterschied zu Städten in Westeuropa kaum noch ausmachen. Restaurants, Cafes, gepflegte Anlagen, restaurierte Häuser, modern gekleidete Menschen, bummelnde Paare, flanierende Familien – das kennt man aus Stuttgart, Leipzig oder Berlin auch.
Zur Kriminalität kann man immer nur aus eigenem Erleben berichten und sollte sich natürlich vor Verallgemeinerungen hüten. Uns ist rein gar nichts widerfahren, obwohl wir immer wild campten und das auch nicht immer an belebten Stellen. Doch meist suchten wir auch bewachte Parkplätze in Innenstädten auf, klar. Die von vielen bemühten Zigeuner fielen fast gar nicht auf, viele sahen wir nicht. Und wie gesagt, auch betteln – und das ist ja noch lange nicht kriminell – sah man auch fast niemanden. Das Thema hatte zumindest für uns dieses Mal überhaupt keine Relevanz, anderen Reisenden, die wir trafen, ging es ebenso.
Bleibt der Müll. Was wir nicht begriffen und was uns auch keiner der zahlreichen Einheimischen, die wir danach befragten, so recht plausibel erklären konnte, war die Tatsache, warum hier fast jeder seinen Müll fallen lässt, wo er gerade geht und steht. Man entdeckt gerade eine herrliche Ecke Natur, findet es einmalig und erschrickt beim Gang um die nächste Ecke gewaltig, weil ein riesiger Berg Plastikflaschen, Kleidungsreste und anderes Zeug umherliegen. Man will es einfach nicht fassen, wie die Rumänen, die sich so gern und oft in der Natur aufhalten, sich in dieser Umgebung wohl fühlen können. Die Erklärungsversuche reichten von „zu langem Einfluß kommunistischer Herrschaft“ bis zum Straßenkehrer, dem man die Arbeit nicht wegnehmen wolle. So richtig überzeugend ist das natürlich nicht, andererseits verschandeln auch in unseren Breiten immer wieder irgendwelche Esel die Gegend. Gar nicht zu reden von Spanien, Italien oder anderen Ländern der südlichen Hemisphäre! Also ganz allein sollte man die Rumänen hierbei nicht lassen, auch wenn die Fassungslosigkeit bestehen bleibt.
Die Menschen haben wir so unterschiedlich erlebt wie sich die Bevölkerung des Landes zusammensetzt. Da waren Grummler, Nette, Einsilbige, Sprachgewandte, Herzliche, Hilfsbereite und Mißgelaunte, deren Gründe wir nicht kennen. So wie überall eben. Man kann nicht sagen, in der Ecke Rumäniens waren alle nett und in der anderen alle dämlich – das wäre völliger Quatsch. Auffällig war, dass viele unter 35-40 Jahren sich englisch verständigen können. Sie können es aus der Schule, lernten es vorm Fernseher (!) oder im Umgang mit Touristen. Natürlich waren die meisten an unserer Meinung über ihr Land interessiert.
Wir haben ihnen immer die Wahrheit gesagt – wir finden Rumänien sehr interessant, etwas anders, als unser Bild, das sich im Vorfeld gebildet hatte, und auf jeden Fall eine Rückkehr wert.
Christa
Schön Jens, dass ihr genau dieses Fazit ziehen konntet und Rumänien in guter Erinnerung behalten könnt. Inzwischen habt ihr auch Bulgarien hinter euch gelassen oder? Habe im Wetterbericht gesehen 35Grad und mehr, das wäre für mich nix, aber ihr seid ja schon "vorgewärmt" und es macht euch vielleicht nicht mehr sooo viel aus. Viel Spaß in Griechenland! Liebe Grüße an euch ,Streicheleinheiten für Helge (weil er euch so wacker durch die Lande schuckelt) von eurer MuChri.
admin
Hallo Mutti, sind kurz vor der Grenze gestarndet und übernachten an Weinberg bei Melnik. Heute in der Spitze sogar 39 (!) GRad, jetzt um fast 20 Uhr noch 32. Sind ziemlich fertig jetzt und froh, dass wir stehen. Demnächst dann auch der Bericht über drei traumhafte Strandtage am bulgarischen Schwarzen Meer und über unseren heutigen Besuch im zauberhaften Rila-Kloster, in dem wir fast ein niedliches <kätzchen adoptiert hätten. Morgen werden wir den Grenzdurchbruch wagen (vor 20 Jahren war das noch todesmutig, fast vergessen wir es). Helge ist sehr sehr wacker und wenn wir wieder zu Hause sind, spendieren wir ihm eine Luftfederung. Sei lieb gegrüßt, bis bald! Kerstin und Jens