Kiew2 min read
In Kiew! Zum ersten Mal sind wir in dieser Stadt, die wir nur vom Hörensagen und von einigen wenigen Zeilen aus dem Reiseführer kennen. Sie enttäuscht uns keinesfalls, schenkt uns schöne Ausblicke aus den Parks oberhalb des Dnepr, Spaziergänge entlang des Prachtboulevards im Stalin-Stil und überraschende Ausblicke wie auf den riesigen Kraftraum unter freiem Himmel, in dem sich dutzende Freizeitathleten stählen.
Wir wohnen in einem tollen Hotel direkt auf dem Dnepr. Eine schwimmende Herberge mit 200 Zimmern und herrlichem Blick auf die Stadt. Jedenfalls, was auf dem gegenüberliegenden Ufer zu erkennen ist. Drei anstrengende Tage lang traktieren wir unsere Füße, besichtigen Sofia- und Andreaskirche, Höhlenkloster, Mutter Heimat samt Museum, klimmen den Andreassteig hinauf und wandern durch das Künstlerviertel Podil. Wir essen aber auch beim Italiener, der sich bezeichnenderweise „Mafia“ nennt, kaufen Süßigkeiten an einem der vielen Straßenstände und besuchen jeden Abend die bezaubernde kleine Kneipe um die Ecke am Hydropark, in der es sich gut und billig essen lässt und der Wodka überraschenderweise auch nach der dritten Runde noch aufs Haus geht.
Wir sehen vieles, was wir nicht verstehen, und vieles, was wir absolut nachvollziehen können. Demonstranten gegen die Inhaftierung der früheren Regierungschefin Timoschenko wechseln einander ab mit bärtigen Popen, die auf 500er Mercedes-Limousinen steigen. Einige wenige Bettler haben es sichtbar schwer, sich mit ihrem Los abzufinden, der noch vorhandene Stolz ringt mit dem Hunger. Die Dichte an Luxuskarossen und –boutiquen übersteigt scheinbar die jeder westlichen Metropole, Pelz und hochhackiges Schuhwerk sind „in“. Viele neue Gebäude im neu-russische n Protzstil sind zu sehen, aber auch viel Altes wurde restauriert. Massig Denkmäler, meist welche von uralten Hetamanen und Königen, aber auch ein Lenin schaut irgendwo verschämt um die Ecke. „“Die Ukraine ist auf der Suche nach sich selbst“, sagt mir ein Freund, der mir das System erklärt. Der Staat verdient zu allererst an allem, ob legal oder illegal, dann kommen die Familienclans, die sich den Rest aufteilen. Beide Seiten sind eng verzahnt. Um die paar Krümel, die übrigbleiben, balgen sich Businessmen, seriöse Unternehmer, Rocker und wer auch immer. So sind wenige sehr reich und die meisten eben arm. Keine Überraschung eigentlich.
Trotzdem haben die meisten Menschen Arbeit, auch wenn sie davon nur mühsam leben können. Unser Restaurant leistet sich einen eigenen Klavierspieler, der jeden Abend aufspielt. Die Masse an Kellnern in unserem Hotel ist kaum zu erfassen. Sicherheitsleute gehören zum guten Ton, vor vielen Geschäften stehen welche und schauen grimmig, sogar in unserem Hotel muss man immer erst an den Bodyguards vorbei, fast wie in einer Disco. Laubsammler im Park, Müllentsorger, Verkäufer – an Menschen herrscht kein Mangel. Leistung ist billig, vor allem solche, die nicht übermässig qualifiziert ist.