Touri-Schwemme statt Gänsehaut: 3 Stunden Alcatraz4 min read
Ein Besuch auf der berüchtigten Gefängnisinsel Alcatraz ist ja Pflicht, wenn man San Francisco besucht. Wenn man lange genug in der Stadt ist, um Tickets zu bekommen! 2005 war das leider nicht der Fall, so dass seitdem die Kids drängelten: Ach, wann kommen wir endlich mal nach Alcatraz! Komisch, wie sich die Zeiten doch ändern. Früher wollte man auf gar keinen Fall dorthin… Denn es galt der Spruch: „Wer gegen die Regeln verstößt, kommt ins Gefängnis. Wer gegen die Regeln im Gefängnis verstößt, kommt nach Alcatraz“.
Deshalb waren auch nur die Schlimmsten der Schlimmsten im Hochsicherheitgefängnis in der San Francsico Bay. Das ist heute auch noch fast so, nur dass es sich mittlerweile um Touristen handelt. Das klingt jetzt ein bisschen böse, aber wenn man einmal vom Sog der geballt auftretenden Masse mitgerissen wird, die nach unten blickt, unaufhörlich „Skjuuuhhhsss miiieeeh“ spricht und einen dann doch anrempelt, ständig die Sicht versperrt und an den unmöglichsten Stellen stehen bleibt, so dass sich unaufhörlich Staus und Aufläufe bilden, die aber eigentlich völlig unnütz und überflüssig sind, ja, dann weiß man, was gemeint ist. Nur, dass die Schlimmsten nun nicht aus den Zellen heraus-, sondern in sie hineinschauen.
Damit ist der Nachteil eines Alcatraz-Besuchs auch bereits geschildert. Ständig wird man geschubst, gedrängelt, zugestellt: Das Gefängnis ist eindeutig zu klein geworden! Eine Million Menschen besuchen „The Rock“ jährlich. Zu bemerken ist das bereits beim Kauf von Eintrittskarten. Sonntags gibts Karten für frühestens Dienstag, 30 Minuten vorher bitte dasein, die Massen stehen säuberlich aufgereiht in der Schlange und warten. Jetzt gehts los, tönt der diensthabende Officer, aufstellen zum Foto, nein danke, wir möchten nicht, sind aber die einzigen, die dieses typisch amerikanische Ritual verweigern (obwohl die wenigsten am Ende ihre Fotos von der riesigen Holzwand abpinnen und für 20 Dollar käuflich erwerben). Dann gehts auf den Kahn, der uns die 2 Kilometer hinüber zur Insel bringt, die mitten in der malerischen San Francisco Bay liegt und längst zu einem der Wahrzeichen der Stadt geworden ist. Die 10minütige Schifffahrt bietet allerfeinste Ausblicke auf „The City“ und kaum Wellengang. Drüben angekommen, hält ein weiterer Officer erst mal Volksreden. Man soll dies nicht und jenes nicht, dort gehts zur Ausstellung, da zu den Zellenblöcken. Die Menge verharrt geduldig. Dann gehts endlich los. Überall, wo es einen Blick zu erhaschen gibt, bilden sich Staus. Die ehemalige Leichenhalle? Überbevölkert. Ein alter Wartungsschacht? Verstopft! Eine baufällige Treppe? Andächtig wird fotografiert. Vor der Hauptattraktion, den ehemaligen Zellenblöcken, hat sich wieder eine lange Schlange gebildet. Hier werden die wichtigsten Utensilien eines Alcatraz-Aufenthaltes im Jahre 2009 ausgegeben. Nicht etwa Gefängniskleidung und Schlafdecken, sondern Kopfhörer und Abspielgerät für die Audiotour, verfügbar in 8 Sprachen, natürlich auch in deutsch. Und dann schlurfen sie alle auf dem gleichen Weg, der ihnen via Kopfhörer übermittelt wird, durch die Gänge, in denen sich einst die gefürchtesten Verbrecher Amerikas bewegten: Gangsterboss Al Capone, Robert Franklin „Birdman“ Stroud, der 54 Jahre im Gefängnis war, davon 43 in Einzelhaft, wo er Kanarienvögel züchtete und „Machine Gun“ Kelly Barnes, einem Räuber und Entführer. Dort, wo sich die gefürchteste Haftanstalt der Vereinigten Staaten befand, ist nix mehr mit Gruseleffekt: Bitte gehen Sie nach der Uhr nach links. Dort sehen Sie eine originalgetreu wiederhergerichtete Zelle….
Nun ist es nicht so, als atmete das Gebäude, die Zellen selbst, der Speisesaal oder die einstige Bilbliothek oder der Freigängerhof nicht Geschichte pur. Verfallen genug ist alles, überall blättert die Farbe, bröckelt der Putz. Und wäre nicht das permanente Begängnis in der Zellentrakts, das Gequäke der Kleinkinder und das Blitzen der in Stellung gebrachten Fotoapparate, könnte man sich sicherlich eines wohligen Gruselns nicht erwehren. Wie muss es wohl gewesen sein, wenn neue Häftlinge eingeliefert wurden, die durch die anderen Häftlinge durch lautes Schlagen an die Gitterstäbe begrüßt wurden? EInzelhaft in völliger Dunkelheit – ohnehin kaum fassbar. Essen in der Gefängniskantine – ist das nachvollziehbar? Immerhin war das Essen gemäß behördlicher Anweisung nahr- und schmackhaft zuzubereiten – ein Privileg auf Alcatraz, das nicht vielen Gefängnissen in den USA zugestanden wurde.
Wir werden nach dem Besuch des Zellentraktes zurück in die Freiheit geschleust, vorbei an der Rückgabestelle für die Audiosets („bitte beachten Sie, dass die Sets gegen Diebstahl gesichert sind…“) und dem Souvenirshop (nachgemachte Zellenschlüssel inclusive), dann gehts hinunter zum Pier, wo schon wieder eine lange Schlange Menschen steht, die hinüber in die Stadt will. So leicht geht das heute. Aber wer will schon anders nach Alcatraz?
MuChri
Wie schön, man hat euch wieder raus gelassen !! Das hätt ich auch sehen wollen- man kennt ja Alcatraz aus vielen Büchern und Filmen- aber möglichst ohne Geschubse und großen Menschenansammlungen. In 1Monat seid ihr wieder zu Hause, ich freu mich drauf.Für heute liebe Grüße an alle von eurer MuChriOma.