Zwischen Flower-Power, Multi-Kulti und Queer Culture: Deutscher Freigeist erobert San Francisco7 min read
Der Inbegriff von Freiheit hat weltweit einen Namen – San Francisco. Für viele DIE Traumstadt in den USA, für immer verbunden mit Flower Power, Hasch und LSD, Janis Joplin und Grateful Dead sowie der größten Lesben- und Schwulen-Community der Erde. Mittendrin in dieser bunten, aufregenden Welt: Idexa Stern, 44-jährige Deutsche, Auswanderin, Tätowiererin. Und zwar die Beste.
Die Leser der Wochenzeitschrift „San Francisco Bay Guardian” wählten sie letzten Sommer zur „besten Tattoo-Künstlerin der Bay-Area”, nachdem ihr Studio „Black and Blue Tattoo” den Titel schon viermal eingeheimst hatte. Eine große Wertschätzung ist dieser Titel schon deshalb, weil die Bay-Area riesig ist: Rund sieben Millionen Menschen leben in San Francisco, San Jose, Oakland und Umland. Das bedeutet auch eine Menge Tattoo-Studios. Denn anders als in Deutschland ist tätowieren in den USA beinahe schon eine Art Volkssport. Kaum ein Arm, ein Rücken, eine Wade, die unverziert daherkommt. „Rund 60 Prozent der Amis sollen tätowiert sein, habe ich erst kürzlich gelesen”, sagt Idexa, die auch sonst interessante Unterschiede zwischen Deutschen und Amerikanern beim tätowieren ausgemacht hat: „In der Vorbereitung auf das Tattoo sind die Amerikaner unkomplizierter. Sie machen sich einfach weniger Gedanken. Wenn Deutsche in den Laden kommen, wollen sie bis zur letzten Minute alles kontrollieren. Dafür haben sie weniger Angst vor den Schmerzen”.
Dass Idexa nun als Tattoo-Expertin gilt, die über deutsch-amerikanische Befindlichkeiten Bescheid weiß, erstaunt sie nach wie vor. Als sie 1991 über den großen Teich kam, hatte die gebürtige Bremerin den großen Traum von Freiheit vor Augen. Als bekennende Lesbe kam sie vor allem wegen des „Queer Culture” in die Staaten. „Queer” bedeutete umgangssprachlich ursprünglich ein Schimpfwort für Homosexuelle, daraus entwickelte sich, von der Szene vereinnahmt und absichtlich provokant gebraucht, der Sammelbegriff für die gesamte homosexuelle Kultur. „Vieles daheim war so entsetzlich engstirnig, auch die alternative Szene. Es war alles so ernst, es gab so viele Tabus”, erinnert sich Idexa. So ging sie nach San Francisco: „Hier ist alles ganz bunt durcheinandergewürfelt in einem Topf, jegliche sexuelle und kulturelle Anschauungen. Hier ist alles viel freier – für mich ging es eher darum, hierher zu kommen statt von daheim wegzugehen”. Oder, wie sie es scherzhaft ausdrückt, konnte sie hier ganz dem Motto „Frauen – Wetter – Essen” frönen. Ursprünglich hatte sie vor, nach ihrer Ausbildung als Verlagskauffrau in Deutschland zu studieren. Sie hatte damit auch schon begonnen und bereits in Hamburg drei Jahre deutsche Sprache, Literatur und Ethnologie studiert, als sie sich für ein Gästesemester an der Uni San Francisco eingetragen hatte. „Ich wollte die schwarze Bürgerrechtlerin Angela Davis sehen, die zum Thema ‚Womans and Prisons‘ Vorlesungen hielt. Doch daraus wurde nichts, und das Studium war gestorben – weil ich schlagartig bemerkt hatte, dass ich bis dahin immer nur gelernt hatte. Doch nun war es an der Zeit, zu leben”, erinnert sich Idexa. Also schlug sie sich mit diversen Jobs durch, schnitt Haare für zehn Dollar und ein Essen, war Türsteherin in Queer-Clubs, arbeitete als Model und in der Redaktion des Magazins „Body Play”, lebte vom Ersparten. In dieser Zeit bekam sie auch ihr erstes Tattoo. „Ich beobachtete genau, fragte nach, ließ mir erklären, wie alles funktionierte. Das faszinierte mich von Beginn an und mir war klar – ich will das auch machen”, erzählt Idexa. Sie begann selbst zu tätowieren, machte erste kleine Tattoos bei Freunden, erntete Zustimmung. Fünf Jahre später wagte sie sich an ihren ersten eigenen Laden – gemeinsam mit drei anderen SM-Lesben. Das „Black and Blue Tattoo” im Mission District wurde schnell bekannt, denn ein „woman-owned and -operated” Tattoostudio war auch in San Francisco durchaus etwas nicht Alltägliches. Zwei Mitarbeiterinnen sprangen nach einiger Zeit ab, später verließ ihre Geschäftspartnerin das Studio – seit nunmehr vier Jahren ist Idexa alleinige Chefin.
Einen Namen weit über „The City” (wie die Einheimischen San Francisco nennen) hinaus hat sie sich mit ihren künstlerischen Arbeiten gemacht. Geometrische Muster, Black Art, Organic und Science gehören zu ihren Favoriten. Sie selbst sieht sich als jemanden, der die Linien nur sichtbar macht: „Ich habe mich auf abstrakte Tattoos spezialisiert. Ich glaube fest daran, dass die Bilder schon im Körper sind und ich sie nur sichtbar mache”. Von daher erkenne der Kunde oder die Kundin ihr persönliches Bild, wenn es richtig ist. Idexa sieht ihre Arbeit irgendwo zwischen Magie und Kunst, Medizin und Präzision. Oft arbeitet sie ohne schwarze Linien, wenn Farbe im Spiel ist, nur selten verwendet sie Vorlagen, die sie vorher zu Papier brachte. Die Linien werden nur auf dem Körper gezogen. „Da ist es besonders wichtig, dass der Kunde und ich eng zusammen arbeiten”, sagt Idexa. Besonders, wenn die Motive – wie sehr oft bei ihr – von Geometrie und Natur gleichermaßen beeinflusst sind.
Ihre eigenen Tattoos sind groß und haben viel Ausdruckskraft. „In Deutschland reagieren viele Leute noch immer überrascht bis schockiert, wenn sie meine Tattoos sehen. In San Francisco ist es dagegen überhaupt nichts ungewöhnliches, Frauen mit vielen Tätowierungen zu sehen”, hat Idexa beobachtet. Zudem mögen die meisten Amerikaner große Tattoos, während es in Europa mehr in Richtung abstrakte Kunst gehe. „Aber das sind nur meine Beobachtungen, so genau kann ich das nicht beurteilen”, schränkt sie ein.
Nach 19 Jahren als Tattoo-Künstler hat Idexa nunmehr beschlossen, etwas kürzer zu treten: „Obwohl es nach wie vor großen Spaß macht, etwas künstlerisches entstehen zu lassen und die Kunden zufrieden aus dem Laden gehen zu sehen, will ich etwas mehr an meine Kinder und mich denken”. Der viele Stress der letzten Jahre, die Pendelei aufs Land ins Sonoma County hinter der Golden Gate Bridge forderten Tribut. Die Beziehung zu ihrer Frau zerbrach, sie wurden geschieden. Idexa erhielt das Sorgerecht, muss aber monatlich Kindergeld an die Ex-Partnerin zahlen. Diese hatte tagsüber die Kinder versorgt, die aus einer Samenspende stammen, und ist auch heute noch fester Bestandteil im Leben der Kids. Dann zog Idexa für ein Jahr zurück in die Stadt, wo sie die vielen Clubs und kulturellen Angebote genoss und daher auch mit dem Laden etwas kürzer trat. Inzwischen hat sie etwas Abstand und Ruhe gefunden, hat ein Haus auf dem Land gekauft und zieht wieder vor die Tore der Stadt: „Da ist es doch ruhiger, und die Schulen sind besser”. Auch einen neuen Partner hat sie gefunden – die Dinge regeln sich… An drei Tagen pro Woche ist sie für die Kunden da, einen Tag widmet sie sich der Musik: „Ich habe mit Saxophon spielen begonnen, das macht mir unheimlichen Spaß, genau wie der Gesangsunterricht, den ich nehme. Das möchte ich intensiver machen.” Dazu etwas Sport, und die beiden Kiddies sollen auch mehr zu ihrem Recht kommen. Mit ihnen ist sie gern im de Young Museum im Golden Gate Park, wo sie sich zusammen inspirieren lassen. Ein anderer Lieblingsort ist der Mission District in San Francisco, wo die „Wall Murals”, farbenprächtige Wandmalereien mit Motiven aus Alltag und Geschichte der Latinos, immer wieder Anregungen bieten. Im Mission District fühlt sich Idexa pudelwohl, denn hier quirlt Multikulti in Reinkultur. Latinos, Lesben, Schwule, Raver, Punks, Designer, Karrieristen und Prostituierte mischen sich im Viertel und sorgen so für eine quicklebendige und bunte Atmosphäre. Trotzdem besucht sie ihre alte Heimat in Deutschland regelmäßig, meist einmal im Jahr. Die Kids sollen den Kontakt zur Familie nicht verlieren und so viel wie möglich über die alte Heimat lernen. Ihre Eltern sehen Idexa, ihr Leben und ihre Kunst zwar noch immer mit gemischten Gefühlen, aber doch gelassener. In Bremen kennt man sie unter ihrem Geburtsnamen Stefanie Wellhausen – in den Staaten hat sie sich den Künstlernamen Idexa Stern zugelegt. „Ich bin und bleibe der Exot, das ist klar”, lacht Idexa, „aber das kann ich verkraften. Und wenn ich zurückkomme nach San Francisco, dann fühle ich mich angekommen. Dann bin ich daheim.” Jens Fuge
MuChri
hallo jens, ich habe heute mal wieder lesestunde gemacht. das meiste kenne ich ja schon vom erzählen, hat mich aber trotzdem nochmal interessiert. wir sehen uns morgen, ich freue mich! also bis danne! Mu.